„Land der Berge, Land der Zäune“ Podiumsdiskussion mit EU-Kandidat_innen zur europäischen Asylpolitik

Am Dienstagabend veranstaltete die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH) gemeinsam mit SOS Balkanroute im Rahmen ihrer Hochschultour „Haltung statt Festung“ eine Podiumsdiskussion mit Kandidant_innen zur EU-Wahl. Besonderer Fokus lag auf den Themen Migration, Flucht und Asyl. Ernst Gödl (ÖVP), Julian Krismer (SPÖ), Lena Schilling (Grüne), Arabel Bernecker-Thiel (NEOS) und Christiane Maringer (KPÖ) waren eingeladen – die FPÖ nicht.

Die Veranstaltung begann mit fachlichem Input von Migrationsforscherin Judith Kohlenberger und persönlichen Schilderungen von Pero Rosandić, Obmann von SOS Balkanroute. Im Anschluss wurden die Kandidat_innen unter mehr oder weniger Applaus auf die Bühne gebeten. Moderator Paul Tesarek bedankte sich bei Ankündigung des ÖVP-Vertreters für den „fairen Applaus“. Die Diskussionsrunde fand im Format von „Ja/Nein“-Karten mit anschließender Begründung statt.

Umstrittene GEAS-Reform als „Durchbruch der Mitte“

ÖVP-Vertreter Ernst Gödl begann seine erste Wortmeldung damit, dass er sich der Tatsache bewusst sei, hier Standpunkte zu vertreten, die Widerstand erzeugen. Er bestätigte jedoch zu 100% hinter dem neuen Asyl-Pakt (GEAS-Reform) zu stehen. Es sei ein Durchbruch der Mitte, diesen Deal im EU-Parlament angenommen zu haben. Für den Begriff der „Mitte“ erntete Gödl im Verlauf der Veranstaltung Kritik aus dem Publikum. Die Volkspartei habe dafür gesorgt, die Mitte immer weiter nach rechts zu verschieben. Laut SPÖ-Vertreter Krismer komme es darauf an, wie konkrete Neuerungen umgesetzt werden. So betonte er die Aufgabe des Europäischen Rates und nutzte seinen ersten Wortbeitrag nicht etwa, um auf die bevorstehende EU-Wahl aufmerksam zu machen, sondern betonte, dass es entscheidend sei, ob in diesem Europäischen Rat ein Herbert Kickel oder ein Andi Babler sitzt und ist damit gedanklich schon bei den Nationalratswahlen im Herbst dieses Jahres. Krismer (SPÖ) teile vieles an der Kritik zum Asyl-Pakt, seine EU-Fraktion stimmte dafür.

Der erste Widerspruch zur GEAS-Reform stammte von KPÖ-Vertreterin Maringer. Das aktuelle Grenzregime befördere Verrohung und stärke die Rechtsextremen und Rechtspopulisten. Der neu beschlossene Pakt stelle sich auch gegen SOS Balkanroute und die Seenotrettung. Laut Lena Schilling, Spitzenkandidatin der Grünen, sei die ganze Debatte „absurd“, da bereits einige Staaten bekanntgegeben hatten, sich nicht an die Regelungen halten zu wollen. Sie weist weiters darauf hin, dass es Menschenleben sind über die hier diskutiert wird und appelliert an die Empathie in der Politik.

Die Vertreterin der NEOS, Bernecker-Thiel, stimmt Schilling bedingt zu: „jedes einzelne Schicksal ist wichtig, wir müssen aber auch auf das systemische und das Ganze schauen“, um anschließend weiter auszuführen, dass es nicht die Möglichkeit gäbe, auf jedes einzelne Schicksal zu schauen. Es brauche Zusammenarbeit, statt gegeneinander zu arbeiten.

„Land der Berge – Land der Zäune…“

„… Es bringt nix!“, so Lena Schillings (Grüne) Kommentar auf die Frage des Moderators, ob diese ein geeignetes Mittel sein, lautete die Frage der Moderation. SPÖ, Güne, NEOS und KPÖ hielten das „Nein“-Taferl hoch. Alleinig von der ÖVP gab es hier ein „Ja“. Der Vertreter der Volkspartei plädierte für Grenzen, denn es müsse klar sein, wer das Land betritt. Maringer von der KPÖ erinnerte an die vielen Menschen, die ab 2015 freiwillig geholfen haben und prangert die damalige Reaktion der Politik an. Man habe die Geflüchteten weggesperrt. Maringer unterstellte hier politisches Kalkül: „Wenn die Bevölkerung keinen Kontakt zu den Menschen mehr hat, werden sie keine Freund_innen, Nachbar_innen und Kolleg_innen mehr. „Dann werden sie „Ausländer““.

Obligatorische Solidarität

„Obligatorische Solidarität“ bedeutet im Kontext der Asylpolitik: Wenn ein Land unter großem „Migrationsdruck“ steht, müssen andere Staaten Menschen aufnehmen oder können alternativ Strafzahlungen leisten. Mittels Taferl wurde diese obligatorische Solidarität von ÖVP, SPÖ und NEOS befürwortet. Ein klares Nein gab es hingegen von Grünen und KPÖ.

Gödl (ÖVP) sprach von der verhältnismäßig hohen Zahl an Menschen, die Österreich bereits aufgenommen hat und dass die Aufgabe nicht an einigen wenigen hängenbleiben darf. Auch Arabel Bernecker-Thiel von den NEOS stellte fest: Migration ist ein europäisches Thema und kein Nationalstaat kann das alleine regeln. Die obligatorische Solidarität ist die richtige Richtung.

Julian Krismer (SPÖ) räumte ein, dass Strafzahlungen vermutlich nicht der richtige Weg sein, bewertete ein gewisses Level an Solidarität jedoch vorsichtig als positiv.  Schilling (Grüne) wünschte sich generell mehr Solidarität in der EU, warf erneut ein, dass bereits Staaten angekündigt haben, sich den Regelungen zu entziehen. Seitens der KPÖ hieß es lediglich, die Option Geld wäre „Ablasshandel“ und man müsse das Problem an der Wurzel packen.

Bildung für alle?

Moderator Tesarek erläuterte, welche Erschwernisse auf Studierende aus Drittstaaten zukommen, wenn diese in Österreich studieren wollen. Alle Kandidat_innen verurteilten diese erschwerenden Bedingungen, außer die ÖVP. „Es darf nicht jeder zu uns studieren kommen“. Die KPÖ stimmte zu, dass natürlich nicht alle auf der Welt zu uns Studieren kommen können, aber wer hier lebt, solle am Bildungssystem teilhaben können. Da stimmte der Vertreter der Volkpartei zu. Es gab Applaus aus dem, großteils studentischen, Publikum.

Die Frage nach der „Haltung“

Immer wieder stand Ernst Gödl (ÖVP) alleine mit seiner Meinung. Aussagen wie „Die Menschenrechte stehen auch für uns außer Diskussion“ ernteten Gelächter und zum Teil Gegenrede aus dem Publikum. Dennoch blieb er bei seiner Meinung und betonte immer wieder zu 100% hinter der Asylreform zu stehen. Zu einem späteren Zeitpunkt des Abends referenzierte er auf den Titel der Veranstaltung „Haltung statt Festung“. Er erklärte „Haltung heißt auch zu seiner Meinung zu stehen“. Gegenrede aus dem Publikum: „Rassismus ist keine Meinung“.

Vor allem von Moderator Paul Tesarek wurde jedoch mehrmals wertschätzend angemerkt, dass ein Vertreter der ÖVP an der Diskussion teilnimmt. Bei der links geführten ÖH, dem Standort an der Universität Wien, dem Thema Migration und den vielen eher linken Diskussionsteilnehmer_inenn war abzusehen, dass die Volkspartei hier keine Gewinne erzielen kann.

Der kleinste gemeinsame Nenner

Bevor es mit Fragen aus dem Publikum weitergehen sollte, wurden die Kandidat_innen aufgefordert, einen Schlusssatz zu formulieren, mit dem alle einverstanden sind. Dieser kam von Bernecker-Thiel, Vertreterin der Neos. Migration sei ein „wahnsinnig komplexes Thema“. Es dürfe nicht nur aus wirtschafts- und sicherheitspolitischer Sicht gesehen werden, sondern müsse vielmehr als Chance verstanden werden. Kein Widerspruch. Lediglich einen kleinen Zusatz gab es seitens der SPÖ „Menschenrechte überall“.

Kritisches Publikum

Die anschließenden Publikumsfragen richteten sich zumeist an Gödl von der ÖVP. Häufig auch in Form von Vorwürfen. Die letzte Publikumsmeldung war ein Vorwurf an das ganze Panel zur rassistischen Asylpolitik – konkret: die Unterscheidung in „gute“ (ukrainische) und „schlechte“ Schutzsuchende. Grüne und KPÖ gaben dem Publikumskommentar recht. Gödl (ÖVP) wies die Kritik von sich. Laut NEOS müsse beim Rassismusvorwurf differenziert werden. Es gäbe einen rassistischen Diskurs, es sei jedoch nicht das gesamte System per se rassistisch. Die Diskussionsrunde endete mit einer rhetorischen Frage von Lena Schilling (Grüne) „Sollen wir jetzt wieder einen Satz finden?“ und Gelächter aus dem Publikum.

Das Publikum war kritisch, die Stimmung aber grundsätzlich ausgelassen. Immer wieder lockerte Moderator Tesarek die Stimmung mit ein paar Schmähs auf. Dem Applaus des Publikums nach zu urteilen, geht vermutlich KPÖ-Vertreterin Christiane Maringer als Gewinnerin aus der Diskussion. Politische Reden lassen sich jedoch am leichtesten schwingen, wenn man in der letzten Legislaturperiode nicht in EU-Verantwortung war. 

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