Am EU-Wahltag lud die Initiative des EU-Parlaments gemeinsamfuer.eu zur Wahlparty im „Erlebnis Europa“ im ersten Wiener Gemeindebezirk. Mit Pub-Quizzes, Live-Hochrechnungen, einem Dance Floor und ausgiebigem Catering führte das EU-Parlament die Partygäste durch den Abend. Auch der erste Vize-EU-Parlamentspräsident Othmar Karas und die SPÖ-Listenzweite Evelyn Regner statteten der Veranstaltung einen Besuch ab.
Das „Erlebnis Europa“ und gemeinsamfuer.eu
Das „Erlebnis Europa“ in der Rotenturmstraße 19 ist eine vom Haus der EU betriebene interaktive Ausstellung, die auch in vielen anderen EU-Städten aufzufinden ist. Auf drei Etagen soll den EU-Bürger:innen in allen 24 EU-Amtssprachen die europäische Demokratie nähergebracht werden. Die Location unter der Leitung von Arthur Gucci beherbergte seit ihrer Eröffnung im Mai 2023 mehrere politische Veranstaltungen – so wie auch die heutige Wahlparty.
Das deklarierte Ziel der Gastgeberin, der EU-Parlaments-Initiative gemeinsamfuer.eu (engl.: together.eu), ist die Stärkung der Demokratie, oder konkret die Erhöhung der Wahlbeteiligung. Zu diesem Zwecke kooperiert sie mit dezidiert unparteiischen politischen Organisationen – in Österreich sind das etwa die Jugendorganisation EU’th, die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) oder PolEdu, eine Plattform für politische Bildung. Primär finanziert wird die Veranstaltung laut Frank Piplat, Leiter des Hauses der EU, über das von ihm geführte Haus. Finanziell hängt das Event laut Piplat nicht mit der 37 Millionen Euro schweren Kommunikationskampagne des EU-Parlaments zusammen. In welchem genauen Verhältnis EU-Kommission und EU-Parlament hier zusammenwirken wird mir im Gespräch mit Piplat nicht klar. Auch meine Internetrecherche verschafft der Verwirrung keine Abhilfe. Auf der Website des EU-Parlaments wird das Haus der EU als „Verbindungsbüro des EU-Parlaments in Österreich bezeichnet“, auf der Website der EU-Kommission wird wiederum die Verbindung zur EU-Kommission hervorgehoben.
Die Location
Geladen ist ab 16:30. Als ich um 16:45 die Location betrete, werde ich von drei Herren im schwarzen Anzug nach Name und Ausweis gefragt. Der Eintritt erfolgt über einen Eingangsschleuse, die mich kurzzeitig auf einem knappen Quadratmeter in einem Glaszylinder mit zwei Schiebetüren einsperrt – nichts für Klaustrophobiker:innen. Der Kontrast zwischen der niederschwelligen Voranmeldung per E-Mail und dem hoch offiziellen Empfang mit Gästeliste und Security-Check überrascht mich.
Im Erdgeschoß wartet das „Erlebnis Europa“ mit einer interaktiven EU-Ausstellung auf. Begrüßt werden Besucher:innen von EU-Promo-Videos. So klärt unter anderem Science Buster Martin Moder am Bildschirm über die Relevanz der EU-Wahl auf – passend zur Verbreitung auf Social Media im Hochformat. Touchscreens auf Tischen und an Wänden zeigen selbst aufgenommene Fotos von Ausstellungsbesucher:innen, liefern Live-Feeds von EU-bezogenen Social Media Posts, Infos über individuell wählbare EU-Mitgliedsstaaten, EU-Parlamentsabgeordnete, EU-Institutionen und die Geschichte der EU. In eigens produzierten Videos erzählen EU-Bürger:innen über die Relevanz der EU in ihrem Alltag. Die Ausstellung erinnert mich an das Foyer des Parlamentsgebäudes, das ich kürzlich bei einer Pressekonferenz kennenlernen durfte.
Nach zehnminütigem Herumschlendern wird mir aus einem EU-blauen Barista-Truck heraus ein Kaffee angeboten und sogar Hafermilch steht für meinen gratis Cappuchino zur Auswahl. Die Besucher:innen werden mit Popcorn, Zuckerwatte, belegten Brötchen, diversen Amuse Gueules in kleinen Gläschen und einer Bandbreite an alkoholischen und nicht-alkoholischen Getränken versorgt. Die Mitarbeiter:innen servieren das leere Geschirr regelmäßig ab. Auch die Ausbeute an Goodies ist groß: Bierdeckel, Schokolade, Kullis, Bleistifte, Buttons und eine große Bandbreite an Infomaterial finden ihren Weg in die Taschen der Besucher:innen. Die Gäst:innen erleben einen zumindest für meine Verhältnisse ungewohnt gehobenen Wahlabend auf EU-Kosten.
Im Untergeschoss können die Besucher:innen im 360°-Kino live der Wahlberichterstattung auf ORF2 folgen – inklusive Werbepausen, Programmvorschau, Wetterbericht und Lottozahlen. Das Kino besteht aus einer Leicht gewölbten, etwa vier Meter breiten Leinwand. Ausgefüllt werden die 360° von einer Panoramaaufnahme des (fast) voll besetzten EU-Plenarsaals. Im Obergeschoß findet das EU-Pubquiz statt, zu dem sich die Besucher:innen an der Rezeption in Teams anmelden können.
Die Gäst:innen
Nach und nach füllt sich die Location. War das Bild der anfangs relativ leeren Räume noch von Mitarbeiter:innen-Shirts und vermutlich beruflichen Besucher:innen im Business-Look geprägt, trudeln nach und nach auch Jung und Alt in zivil ein. Man sieht Paare, Freundesgruppen und sogar ein Kleinkind stapft munter durch die Gegend. Das Ziel, die breite europäische Bevölkerung mit der EU-Politik zu erreichen, scheint erfüllt.
In einigen Gesprächen stellt sich schnell heraus, dass ein großer Teil der Ü30-Belegschaft aus Brüssel-Alumnis, Mitarbeiter:innen des Hauses der EU und ihren Bekannten und Familien besteht. Unter den jüngeren Gästen finden sich unter anderem (ehemalige) Mitarbeiter:innen des „Erlebnis Europa“ und politisch interessierte und engagierte Jugendliche, die zu einem großen Teil selbst in den Partner:innenorganisationen von gemeinsamfuer.eu tätig sind. Viele sind mit Veranstaltungsleiter Gucci per Du. Zwar ist die Anmeldung für das Event relativ niederschwellig, im Endeffekt scheint es aber doch eine recht geschlossene Gesellschaft angelockt zu haben.
Der Disput zwischen Wien und Berlin im 360°-Kino
Um 18:30 wird ein Videocall zwischen dem vor Ort anwesenden Leiter des Hauses der EU, Frank Piplat, und der korrespondierenden EU-Wahlparty in Berlin gestartet. Die Berliner Moderatorin Barbara Arweck lobt den Anstieg der österreichischen Wahlbeteiligung und stellt Fragen zu wegen Überflutungen geschlossenen Wahllokalen in der Steiermark. Die beiden diskutieren über das EU-weit in österreich einmalige niedrige Wahlalter von 16 und stellen Thesen zur Entwicklung der Wahlbeteiligung auf. Dave Kock, Obmann des Vereins EU’th, wird von Piplat für sein Engagement auf der Vienna Pride am Vortag gelobt. Mitglieder von EU’th waren mit einer 150 Quadratmeter großen EU-Flagge bei der Parade aufgekreuzt.
Piplat hatte sich von dem Videocall jedoch anscheinend Anderes erwartet. In einem Nebenbespräch echauffiert er sich gegenüber Gucci über die Abweichung vom ursprünglichen Briefing und die Abwesenheit von Georg Pfeifer, dem Leiter des Berliner EU-Verbindungsbüros. Gucci kämpft wiederholt mit der Technik. Nach einigen Anstrengungen wird ab kurz vor 8 eine Verbindung nach Brüssel hergestellt und die ersten gesamteuropäischen Hochrechnungen gezeigt.
Mit dem Fortlauf der Zeit steigt auch der Alkoholpegel im Publikum und die Anforderungen an die Angestellten. An der von Mitarbeiter:innenseite zwischenzeitlich unbesetzten Bar, der Zuckerwatte- und der Popcornmaschine findet unter den Besucher:innen zeitweise die Selbstbedienung Anklang. Nach und nach migriert das Kinopublikum vom Untergeschoß auf die Tanzfläche im Erdgeschoß und zum Pub-Quiz.
Das Pub-Quiz mit Othmar Karas
Um 20:30 startet das von EU’th organisierte Pub-Quiz im Obergeschoss des „Erlebnis Europa“. Die vier Teams beantworten unter anderem Fragen nach der Anzahl von EU-Amtssprachen, ESC-Songtiteln und Interpret:innen und dem von Brüssel am weitesten entfernten Ort, an dem EU-Wahlen stattgefunden haben. Zu gewinnen gibt es Makava und Eisgreissler-Gutscheine.
Nach der ersten Runde bekommt der Überraschungsgast Othmar Karas vom Quiz-Master Dave Kock das Mikrofon in die Hand gedrückt. Bei seiner Pub-Quiz-Premiere lobt der erste Vize-EU-Parlamentspräsident die erhöhte Wahlbeteiligung und plädiert für eine konstruktive europäische Zusammenarbeit gegen erstarkende rechtspopulistische Kräfte in Europa. Karas zieht Parallelen zwischen dem Pub-Quiz und dem Soll-Zustand der EU-Politik. Die EU sei ein „spielerisches Zusammensetzen mit Freude“ und die Suche einer „gemeinsame Antwort“. „Wir dürfen Politik nicht auf Funktionen und Parteien reduzieren. Die Idee der EU ist viel mehr als das. Die EU braucht euch alle.“
Das finale Ergebnis ohne Evelyn Regner
Auch SPÖ-Listenzweite Evelyn Regner stattet der Veranstaltung einen kleinen Besuch ab. Gegen 22:30 lässt sich die frisch wiedergewählte EU-Abgeordnete kurz blicken, spricht mit einigen Bekannten und rauscht im Anschluss direkt weiter zur SPÖ-Wahlparty.
Die ersten offiziellen österreichischen Ergebnisse werden um 23:00 live im 360°-Kino präsentiert. Mit Popcorn, Wein und Bier ausgerüstet lauscht das Publikum gespannt den Analysen von Armin Wolf und Peter Filzmaier. Pünktlich um 23:30 initiiert Veranstaltungsleiter Gucci den abschließenden Rausschmiss. Er teilt die Resignation vieler Anwesender über das Wahlergebnis. „Schlafen wir mal drüber und schauen wir, wie wir morgen damit umgehen werden.”
Am Weg hinaus darf ich mir die Klaustrophobie-Schleuse sparen und begebe mich über die reguläre Glasschiebetüre wieder in das nächtliche, frisch europagewählte Wien.