„Die EU muss emotionaler werden“ 

Andreas Würfl auf seinem Schreibtisch.

Die Europawahlen stehen vor der Tür und der Wahlkampf der Parteien is somit in vollen Gange. Wie führt man Wahlkampf bei einer Wahl, die bekanntlich eine geringe Wahlbeteiligung hat? Und wie schafft man es, das Image der EU zu verbessern? Darüber habe ich mit Andreas Würfl gesprochen. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht und leitet seit Jahren EU-Wahlkampagnen der ÖVP: lange Zeit jene von Spitzenkandidat Othmar Karas, dieses Jahr die des Listenfünften, Lukas Mandl.

Schmidhuber: Kannst du vielleicht deine Aufgaben, die du bei den Europawahlen hast, kurz zusammenfassen?

Würfl: Es ist unterschiedlich. Ich habe die letzten drei Wahlen den Otmar Karas betreut, als Spitzenkandidat, beziehungsweise 2014 habe ich die gesamte Wahlkampagne für die ÖVP geleitet. Das war die Größte. Diesmal betreue ich einen Kandidaten, der auf Nummer 5 ist, für eine Vorzugsstimmenkampagne. Das ist der Lukas Mandl, der ist derzeit schon Abgeordneter und möchte sich wieder fürs Europaparlament qualifizieren. Er sitzt auf Platz 5 das ist das sogenannte Kampfmandat. Das heißt, die ÖVP schafft entweder vier oder fünf Mandate und deswegen wird Lukas Mandl extra probieren, Vorzugsstimmen zu sammeln.

SCH: Deine Aufgabe ist es dann also die Wähler zu motivieren, Lukas Mandl zu wählen?

W: Genau, wir schauen, welche Zielgruppen Lukas besonders anspricht. Wir wissen das, er hat bereits zweimal Vorzugsstimmen-Wahlkämpfe gemacht. Einmal für die Niederösterreichische Landtagswahl und letztes Mal bei der Europawahl. Da hat er 38.000 Vorzugsstimmen bekommen, das ist recht viel. Wir schätzen, dass wir diesmal so 40 bis 45 (Anm. derRedaktion: tausend) brauchen, um vorgereiht zu werden. Wir versuchen Leute anzusprechen, die uns sowieso wählen. Also sehr zielgruppenspezifisch.

SCH: Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen bei einer Europawahl? Die Europawahl ist ja bekanntlich eine Wahl, mit einer bekanntlich niedrigen Wahlbeteiligung. Ist das die größte Herausforderung?

W: Also, das eine ist, es herrscht wenig Bewusstsein in Österreich darüber, was das überhaupt ist, das Europäische Parlament. Da sind in Wirklichkeit viele Entscheidungen, die wir dann in Österreich ausbaden müssen und dass die auf europäischer Ebene getroffen werden, das wissen die wenigsten Menschen. Weil wir müssen viele nationale Gesetze dann an Europa anbinden. Das heißt, das Wichtigste ist einmal das allgemeine Bewusstsein. Das ist so fern und das betrifft aber alle Parteien. Das ist etwas, wo ich auch immer mit den Kolleginnen und Kollegen von den anderen Parteien spreche. Das wissen wir, es gelingt aber nicht, das wirklich rüberzubringen. Obwohl eigentlich eine Europawahl ein Anlass wäre, das zu ändern, aber da herrscht auch zu wenig Einigkeit, dass man sich darauf konzentriert. Da ist lieber, dass man sich untereinander ein bisschen haut. Das ist die größte Herausforderung. Und damit zusammenhängend natürlich die Wahlbeteiligung. Wir haben im großen Durchschnitt eine Wahlbeteiligung bei den Nationalratswahlen von 75 Prozent und bei den Europawahlen von 50 Prozent. Das ist erschütternd.

SCH: Und hast du da Tricks, wie man das am besten bewerkstelligt?

W: Also was wir in den Kampagnen versuchen ist, dass wir die Leute, die uns positiv gegenüber gesinnt sind, dazu zu bringen, wählen zu gehen. Also anders als bei Nationalratswahlen, da versuchen wir zu argumentieren, dass es gut ist, die ÖVP zu wählen und was auch immer. Bei der Europawahl ist es halt so, wir versuchen gar nicht Leute zu überzeugen, ÖVP zu wählen, sondern wir versuchen Leute zu finden, die uns sowieso wählen und die zur Wahl zu bringen. Das ist das Besondere.

SCH: Glaubst du, dass sich der Wahlkampf dieses Jahr durch bestimmte Faktoren von anderen Europawahlkämpfen hervorhebt?

„So schlecht wie jetzt, war die Stimmung noch nie“

W: Generell ist es bestimmt schwerer. Schwerer als 2019, auch schwerer als 2014. Das ist geschuldet zum einen den globalen Dingen wie dem Krieg in der Ukraine, Covid und Israel, Palästina das ist sicherlich etwas, was den Menschen Angst macht. Und Angst ist in der Regel ein guter Ratgeber, extreme Parteien zu wählen: rechts und links. Also Menschen, die Angst haben, stellen sich gerne ganz rechts oder ganz links hin. Das heißt, da werden die extremeren linken Parteien und die Extremeren, also die FPÖ, um das Kind beim Namen zu nennen, davon profitieren. Das Zweite, was die Sache schwerer macht, und das merken wir auch bei den Telefonaten und auch bei den Terminen, die Politik hat sich in den letzten Jahren gegenseitig geschadet. Also es waren zwar immer Erfolge gegen die ÖVP, auch jetzt in den Untersuchungsausschüssen und so, da hat zwar der Herr Kreiner (Anm. d. Redaktion Abg. SPÖ) und die FrauKrisper (Anm. d. Redaktion Abg. NEOS)  immer schön auf die ÖVP hingekaut. Das hat der ÖVP mehr geschadet, es hat ihnen aber selber auch geschadet. Weil der Ruf der Politik leider, nämlich der Politik allgemein, massiv gelitten hat. Und wie gesagt, ich mache das jetzt seit dutzenden Jahren, und ich traue mir aber zu, zu sagen, so schlecht wie jetzt war die Stimmung noch nie.

SCH: Hat sich zusätzlich noch die Wählerschaft verändert?

W: Naja, wir wissen aus Umfragen, dass früher die Einstellung zur EU positiver war, als sie heute ist. Also das gesamte Elektorat hat sich hier eine Spur weg von der EU entwickelt. Was aus unserer Sicht natürlich absolut unverständlich ist, weil die EU tut uns viel, viel mehr Gutes, als sie Schlechtes tut. Aber natürlich, es gibt ein paar Dinge, die nicht so gut sind, auch die Überregulierung und was auch immer. Und die Randparteien, also rechte und linke Rand, setzen sich genau da drauf und punkten halt damit. Das ist sicher schwerer geworden.

SCH: Glaubst du, dass dann dieses Jahr eher mit einer niedrigeren oder mit einer höheren Wahlbeteiligung zu rechnen ist?

W: Ich befürchte, wir werden niedrig bleiben, so wie jetzt auch die Umfragen. 2019 war sie wegen Sprache und dem Ibiza Video höher. Das hat die Wahlbeteiligung noch einmal gepusht, weil da viele Leute noch aus Protest wählen gegangen sind und den Sebastian Kurz gewählt haben. Also wir haben in diesen letzten acht Tagen noch nie so einen Run gehabt zur EU-Wahl wie 2019. Aber ich befürchte, nein, das befürchte ich nicht. Ich wünsche mir nicht noch einmal so etwas wie Ibiza, aber wenn es nicht irgendwie gelingt, eine positive Motivation auszuschicken, werden wir eine niedrige Wahlbeteiligung haben.

SCH: Jetzt außerhalb deiner Tätigkeit, wie kann man Menschen dazu motivieren, zur EU-Wahl zu gehen?

W: Also es bemühen sich einige Institutionen, dass die EU-Wahl an Bedeutung gewinnt. Die Industriellenvereinigung, auch sowas (Anm. d. Redaktion BürgerInnen Forum), was der Othmar Karas macht, das dient ja nicht einer Partei per se, sondern das dient halt allgemein. Also ich glaube auch, man muss vielmehr die Aufmerksamkeit schärfen. Weil was natürlich in Österreich recht und billig ist, wenn irgendwas schief geht, Schimpfen die Bürgermeister auf die EU. Das ist so, auch selbst Bundespolitiker, wenn sie nicht mehr weiterwissen, ist Brüssel schuld. Manchmal stimmt es, aber oft stimmt es einfach nicht. Und ich glaube, das muss aufhören. Also wir müssen vielmehr die EU als das sehen, was es wirklich ist, als ein sensationelles Friedensprojekt. Also ein Projekt, das wirtschaftlichen Aufschwung gebracht hat, und einen Wohlstand, den wir jetzt gerade in Zentraleuropa in der Form, das gab es nicht. Also sowas, was wir da in Österreich, in Deutschland, also fast in den meisten EU-Ländern haben, das gab es vorher noch nie. Und ich glaube, dass das Augenmerk darauf gelenkt werden kann. Und da kann natürlich jeder und jede Einzelne dazu beitragen.

SCH: Das heißt, EU-Wahlkampf ist auch immer ein bisschen Aufklärung, was die EU betrifft.

W: Genau, also ich finde sogar, man kann da durchaus Emotionen reinbringen. Meine Kinder sind erwachsen, also 30 und 29, und die sind aber noch mit Schilling aufgewachsen. Also alleine das, weil wenn wir nach Italien gefahren sind, haben wir in Lire gewechselt. Das ist etwas, und ich glaube, das gehört viel emotionaler gemacht. Ich bin noch aufgewachsen mit einem eisernen Vorhang, und wir haben Angst gehabt, dass uns irgendwer eine Atombombe auf den Schädel haut. Und die Ungarn fahren für uns außerhalb der Reichweite, weil wir da nicht umfahren durften. Also die Positivbeispiele, die eh auf der Hand liegen: Wir haben ein Bruttoinlandsprodukt, das ist sensationell. Wir stehen weltweit mit unseren Sozialleistungen da ganz an einsamer Spitze. Und natürlich gibt es Armut auch, das gehört auch bekämpft. Aber trotz allem, also die Vorteile überwiegen derartig. Ja, aber du merkst es, ich bin da mit einer gewissen Emotion drin.

SCH: Sind junge Wähler, für die die EU etwas ganz Selbstverständliches ist, schwerer zu erreichen sind?

W: Das ist jetzt eine gemeine Frage, weil die ÖVP ist natürlich für junge Wähler nicht attraktiv. Nicht so attraktiv, wie sie sein sollte. Oder wie wir uns wünschen würden, dass sie es ist. Wir haben sehr, sehr viele WählerInnen, die in einem bereits fortgeschrittenen Alter sind, also 50 plus, wo einige noch denken, früher war alles besser. Aber wenn man dann ganz genau hinschaut, wenn man sich dann einmal fragt, was war besser, dann kommt ja nichts. Es war einfach nichts besser. Vielleicht sind mehr Leute in die Kirche gegangen. Wenn man das als besser versteht, ja. Aber dann ist irgendwo schon ein Ende der Fahnenstange. Wir schaffen es nicht oder es ist sehr, sehr schwer, junge Menschen anzusprechen. Das liegt wahrscheinlich auch an der Struktur unserer Funktionäre. Wir haben wenig junge Wähler, wirklich, ich darf jetzt nichts Falsches sagen, weil natürlich alle, die bei uns im Team sind, sind junge Leute, die voll engagiert sind. Aber wirklich, daran die Jugend breit anzusprechen, da muss ich sagen, da müssen wir noch üben.

SCH: Gibt es abschließend noch Tipps, wie man das Image der EU verbessern kann?

W: Also ich glaube, du musst mehr Emotion reinbringen. Also die wirklich guten Wahlkampagnen funktionieren auch dann nur, wenn eine positive Stimmung ist.