Katrin Fallmann ist Wiener Politikerin, TU-Studentin und selbständige Debattier- und Argumentationstrainerin. Als junge Frau fühlt sie sich den Grünen zugehörig und kandidiert für die EU-Wahl auf Listenplatz fünf. Zu ihren besonderen Anliegen zählen Menschenrechte, Demokratie und Unterstützung von Friedensarbeit. Während des Wahlkampfes wird sie häufig zu Diskussionen an Schulen eingeladen oder ist sie auf den Straßen unterwegs, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.
Petrušková: Wie sind Sie dazu gekommen, sich politisch zu engagieren?
Fallmann: Grundsätzlich bin ich schon länger bei den Grünen aktiv und gehöre zur Delegation der österreichischen Grünen in der europäischen Grünen-Partei. Ich habe mich dann entschlossen, für das EU-Parlament zu kandidieren, weil ich glaube, dass wir die großen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen – wie die Klimakrise, zunehmende Konflikte und Fragen, wie wir unsere Demokratie besser vor bewusster Einflussnahme schützen können – nicht allein in Österreich lösen können. Wir brauchen wirklich diese europäische Zusammenarbeit. Und ich möchte auch zu dieser lösungsorientierten Politik beitragen.
Petrušková: Was läuft Ihrer Meinung nach gerade schief in der Europäischen Union?
Fallmann: Ich finde die Asylpolitik der Europäischen Union sehr problematisch. Wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, dann ist klar, dass man da nicht wegschauen darf. Wenn ich jemanden auf der Straße sehe, der erste Hilfe braucht, frage ich auch nicht nach der Staatsbürgerschaft, bevor ich erste Hilfe leiste. Es gibt an den EU-Außengrenzen viele Menschenrechtsverletzungen, die von NGOs, auch mit Fotos und in hunderten Gesprächen, zum Beispiel im Blackbook of Pushbacks dokumentiert sind, wo die Grenzpolizei die Menschen mit grauslichsten Mitteln über die Grenze zurückprügelt, ihnen zum Teil auch Handys abnimmt. Das ist einfach illegal und eine grobe Menschenrechtsverletzung, die kaum Konsequenzen hat. Jetzt ist es bei der EU-Asylpolitik so, dass man versucht, die Asylverfahren an die Grenzen zu verlagern, wobei es auch für die NGOs erschwert wird, die Menschen zu unterstützen. Zusätzlich wird versucht die Rechtsberatung von den Menschen im Asylverfahren sehr stark auszuhöhlen. Da wird im Schnellverfahren entschieden, ob die Menschen überhaupt zum Asylverfahren zugelassen werden oder nicht, es wird im Schnellverfahren über Menschenleben entschieden, was ich sehr bedenklich finde. Gleichzeitig fehlt ein tatsächlicher Solidaritätsmechanismus. Dieses sogenannte Solidaritätsprinzip ist so freiwillig, dass die Mitgliedsstaaten gar keine Geflüchteten aufnehmen müssen, sondern sich davon freikaufen können. Das ist keine langfristige Lösung. Wirklich alle Mitgliedsstaaten sollten die Verantwortung übernehmen, um schutzsuchenden Menschen Schutz zu bieten. Was ich absurd finde ist, dass man in Europa nach Fachkräften sucht, und gleichzeitig aber Menschen, die schon in Europa sind, Steine in den Weg legt, die es ihnen erschweren, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Petrušková: Die Grünen erhielten bei der letzten EU-Wahl 2019 14% der Stimmen, das waren gleich zwei Mandate im EU-Parlament, nach dem BREXIT dann drei. Was waren Ihrer Meinung nach wichtige Meilensteine der Grünen im Europaparlament seit 2019?
Fallmann: Ich denke, dass die Grünen die Klimapolitik sehr weitergebracht haben. Der Green Deal wäre ohnen Grünen nie so möglch gewesen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen in der nächsten Periode des EU-Parlaments sehr stark daraufzuschauen, dass es auch wirklich so umgesetzt wird. Auch das Lieferketten-Gesetz ist im Prinzip etwas, das die Grünen schon lange wollten. Auch strengere Regulierungen für große Social Media Unternehmen, durch den Digital Services Act und Digital Markets Act ist etwas, wo die Grünen sehr stark mitverhandelt haben.
Petrušková: Wenn man jetzt über die Grünen spricht, muss man auch die Ereignisse der letzten Tage erwähnen. Trotz der Veröffentlichung des STANDARD-Artikels bleibt Lena Schilling Platz eins auf der Kandidatenliste. War das eine einheitliche Entscheidung innerhalb der Partei?
Fallmann: Dazu möchte ich auf die Pressekonferenz am Dienstag verweisen, wo die Parteispitze und auch Lena Schilling selbst Stellung genommen haben. Ich selber möchte nicht viel mehr dazu sagen, weil es in der Berichterstattung auch um das Privatleben anderer Personen geht.
Petrušková: Einer von den Punkten aus dem Wahlprogramm der Grünen ist die unabhängige Selbstproduktion von Energie durch Windkraftwerke und Sonnenstrom in ganz Europa bis 2030. Wie ist das innerhalb von diesem relativ knappen Zeitraum möglich, zum Beispiel auch in EU-Ländern, in denen noch nicht so viele Erfahrungen mit alternativen Energieressourcen gibt?
Fallmann: Das ist das Schöne an der EU, dass man voneinander lernen kann, dass man sich auch Best Practice Beispiele abschauen kann. Bei den europäischen Grünen arbeiten wir natürlich sehr eng mit den anderen grünen Parteien zusammen. Auch das, was wir jetzt in Österreich in der Regierungsbeteiligung umgesetzt haben, dient als Beispiel für andere Grüne Parteien, oder andere EU-Länder generell. Wir können uns umgekehrt auch anschauen, was bei den anderen gut funktioniert. In Österreich wurde der Ausbau von erneuerbaren Energien massiv gefördert und erleichtert. Ich denke, das was in Österreich gut in die Wege geleitet wurde, kann auch wo anders gut funktionieren.
Petrušková: Im Wahlprogramm wird auch die Position der Grünen zum Ukraine-Krieg erwähnt. Die Partei will sich für Schutz von Menschenrechten in betroffenen Ländern einsetzen. Was kann dabei das Europaparlament tun, wenn es sich um Länder außerhalb der EU handelt?
Fallmann: Für uns Grüne ist klar, dass wir auf der Seite der Ukraine stehen. Putin hat sich dazu entschieden, ein souveränes Land anzugreifen. Ich persönlich treffe auch bei den Veranstaltungen von den europäischen Grünen immer wieder Frauen aus der Ukraine, die oftmals erzählen, dass sie früher selber sehr überzeugte Pazifistinnen waren und jetzt freiwillig eine militärische Ausbildung machen. Ich finde es so wichtig, diesen Kontext immer im Kopf zu haben: Die Menschen in der Ukraine haben sich dazu entschlossen, dass sie nicht unter einer Diktatur leben wollen. Deswegen finde ich es wichtig, dass wir die Ukraine unterstützen. Österreich hat dabei eine besondere Rolle als neutraler Staat. Wir haben bis jetzt immer so gehandelt, dass wir uns nicht in den Weg stellen, wenn andere Länder die Ukraine stärker, auch militärisch, unterstützen wollen. Gleichzeitig müssen wir auch auf lange Sicht darüber reden, wie wir die Ukraine beim Wiederaufbau und vor allem auch bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen unterstützen können, um aufzuzeigen, dass Kriegsverbrechen Konsequenzen haben. Wenn man sich die Geschichte anschaut, sieht man, dass Putin auch die Separatist:innen in anderen Ländern unterstützt, die er dann später wieder als Ausrede für kriegerische Handlungen verwendet. Es ist wichtig, dass man ihm seine Schranken aufweist, und dass es entsprechende Sanktionen für Russland gibt.
Petrušková: Bei dem Thema Ukraine-Krieg muss man auch die Problematik der Migrationspolitik bedenken. Wie steht die Partei zu diesem Thema?
Fallmann: Bei den Menschen aus der Ukraine ist es gelungen, ihnen sehr schnell einen Schutzstatus zu bieten, wo sie nicht jahrelang im Asylverfahren auf eine Entscheidung warten müssen und wo sie wirklich im Prinzip ab dem ersten Tag beginnen können, hier Fuß zu fassen, eine Arbeit zu suchen, hier auch zu wohnen. Ich denke, das ist sehr wichtig, den Menschen auch Sicherheit zu bieten. Aber es nutzt natürlich auch uns, wenn junge Arbeitskräfte nicht lange warten müssen, sondern schnell eine Arbeit finden können. Es ist wichtig, dass man den Menschen ermöglicht, dass ihre Ausbildungen auch schneller anerkannt werden und Hürden abzubauen, die am Arbeitsmarkt für viele Ukrainer/innen bestehen.
Petrušková: Viele verschiedene Umfragen sagen eine starke Zunahme von rechts-orientierten Abgeordneten im Europaparlament voraus. Was könnte das Ihrer Meinung nach für Europa bedeuten?
Fallmann: Wenn man in die Geschichte schaut, gab es im EU-Parlament meist eine links-liberale Mehrheit, aber jedenfalls eine pro-eurpäische Mehrheit. Dadurch konnten viele Maßnahmen beschlossen werden. Die EU hat in den letzten Jahren viel im sozialen Bereich weitergebracht. Das kommt leider bei der Kommunikation in Österreich nicht immer ganz an. Zum Beispiel die Obergrenze der Arbeitszeit beruht auf einer EU-Richtlinie. Auch bei der EU Work Life Balance Directive geht es sehr stark um Gleichstellung und soziale Rechte. Das sind Dinge, wo die Gefahr besteht, dass es zur Rückschritten kommen wird, wenn es eine rechte Mehrheit im EU-Parlament gibt. Oder auch beim Green Deal kann es passieren, dass versucht wird wichtige Beschlüsse, also die großen Vorhaben, wieder aufzuschnüren.
Petrušková: Die Grünen sind bei der jüngeren Altersgruppe immer ziemlich erfolgreich. Wie sieht es aber mit dem Ansprechen von älteren Menschen aus?
Fallmann: Wir sprechen grundsätzlich alle Menschen an, weil es uns um eine lebenswertere Zukunft geht. Bei der Klimakrise geht es auch darum, wie wir sichere Energien schaffen, die auch für alle Menschen leistbar sind, wie wir günstige Züge schaffen, für ältere Menschen, oder für Menschen, die sich kein Auto leisten können. Alle Menschen brauchen leistbare Alternativen. Im Sommer leiden vor allem ältere Menschen unter der Hitze, oder auch die Armutsbetroffenen, die in sehr dichtbebauten Wohngebieten leben. Es geht zwar um die Zukunft der Jungen, gleichzeitig leiden wir aber schon jetzt unter der Klimakrise. Ich denke, dass wir Grünen da immer sehr gut die Bedürfnisse von allen Menschen mitdenken.